Das große Nest
Wo der Osterhase wohnt, kann noch nicht schlüssig geklärt werden. Doch ist heute klar, wo die Ostereier ihre Heimat haben. Ein Besuch beim Ostereiermuseum in Erpfingen.
Zunächst hat der Besucher vielleicht ein ironisches Lächeln auf den Lippen: Bei all den Dingen, die es auszustellen lohnt, steht in diesem Luftkurörtchen auf der Schwäbischen Alb ein Museum für ausgerechnet Ostereier. Rot-Gelb-Grün mit Tupfen-Streifen-Kringeln, was Kinderhände halt so auf das räumliche Oval pinseln können, denkt man sich. Doch nach wenigen Minuten ist es mit der Ironie vorbei und dem Interessierten eröffnet sich eine im mehrfachen Sinne bunte Welt.
Im alten Ortskern hinter der Straßengabelung, in der das Rathaus thront, steht die restaurierte alte Schule. Das Gebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert wurde mit Geld der Gemeinde Sonnbühl vom „Förderverein Ostereimuseum Sonnenbühl, Verein zur Brauchtumspflege e.V.“ zum Museum umgebaut. Bevor dieses passende Nest für die Ostereier gefunden wurde, hatte der Verein seit Anfang der 1980er Jahre mehrere Jahre lang Wanderausstellungen veranstaltet. Nach einer Gesamtsanierung des Fachwerkhauses konnte 1993 das Ostereimuseum Sonnenbühl eröffnet werden.
Schnell wird dem Besucher klar, dass die Exponate nicht von stolzen Großeltern aus der schwäbischen Umgebung geliefert worden sind, die die Werke ihrer Enkel zeigen möchten. Bei den Ausstellungsobjekten handelt es sich tatsächlich um Kunsthandwerk. Zwei Damen mittleren Alters sitzen hinter einem Tisch und verzieren in ihrer speziellen Technik den Osterschmuck. Pia Högner erklärt die Occhi-Technik, eine Art Stricken aus feinstem Garn, mit dem sie die Eier verziert. Dies sei eine sehr alte Technik, erklärt sie, die im Laufe der Jahrhunderte fast in Vergessenheit geraten ist. Einige Vitrinen zeigen historische Beispiele. Ihre Kollegin Christel Bauer arbeitet mit Strohintarsien. Die beiden Damen sind mit weiteren Kolleginnen in den fünf Wochen der Osterzeit täglich im Museum, so kann man ihnen über die Schulter blicken und fachsimpeln.
Oben im zweiten Stock erklärt die Kunsthandwerkerin Anneliese Wolf die unterschiedlichen Hölzer, aus denen sie ihre Eier schnitzt und drechselt: Mopane, Ulme, Mammutbaum, Balsa, Ebenholz. Und sie hat auf einem DIN A4-Bogen den Keltischen Baumkreis gedruckt, der den Interessierten anhand ihres Geburtsdatums erklärt, welcher Baum zu ihnen passt und welcher Typ Mensch sie sind.
Auf zwei Stockwerken werden die Ostereier in Glasvitrinen ausgestellt. Dabei gibt es allerlei Wissenswertes über die Symbolik der Osterkultur durch die Jahrhunderte und in verschiedenen Kulturen zu erlernen. So werden Ostereier aus beispielsweise China, Australien, Afrika oder Bali gezeigt. Eines der wertvollsten Eier ist königlichen Ursprungs: Ein mit Silber verziertes Schwanenei kann an einem Scharnier aufgeklappt werden und enthüllt Salz- und Pfefferstreuer an einem Ständer hängend. In einem zweiten befindet sich ein feines Nähset. Eine ganze Vitrine ist der kostbaren Dekoration gewidmet, hier stehen Cloisonné Eier mit blauer Lapislazuli-Ornamentik.
Im ersten Stock können außer den fertigen Exponaten auch die Eier von Krokodilen, Geckos, dem Paradieskranich und sogar von Dinosauriern bestaunt werden, allerdings stehen diese nicht zum Verkauf. So gesehen steht in Erpfingen ein Multifunktionsmuseum: Der Betrachter blickt nicht nur auf verzierte Ostereier und in einen Spiegel der Kulturen und Zeiten, sondern lernt dabei auch einiges über Flora und Fauna dieser Welt. Selbst die Dichtkunst kommt nicht zu kurz: In einigen Vitrinen findet sich neben den Volkskunst-Exponaten auch handgeschnitzte Lyrik: „Aus lauter Lieb, aus lauter Treu / schenk ich Dir ein Osterei“.
In der Vitrine für die modernen Zeiten liegt ein Ei, das durch die entsprechende Öffnung in der Schale und den eingesteckten Verschluss unschwer als Coca-Cola Dose zu erkennen ist. Und auch Heavymetal Fans geben die drei Euro Eintritt nicht vergebens aus: Ein tiefschwarz gefärbtes Ei ist längs aufgeschnitten und zeigt ein gelötetes Netz mit großer Spinne darin. Sozusagen voll krass.
Doch die Mehrheit der Eier zeigen Volkskunst im besten Sinne: Da das gemeine Volk damals wie heute nicht allzu viel Geld hatte, um sich Marmor zum Meißeln oder Gold zum Treiben zu kaufen, wurde und wird alles genommen, was erstens billig und zweitens knifflig zu bearbeiten ist, um die eigene Fingerfertigkeit vorzustellen. Dabei werden die Eier nicht nur höchst kunstvoll bemalt, sondern fein mit Mustern beschnitten, gefräst, mit Klöppelarbeiten verschönert oder eben mit Occhi-Technik „bestrickt“ und mit Strohintarsien verziert.
Im angeschlossenen Laden gibt es außer dem fertigen Osterschmuck auch die Rohstoffe für eigene Versuche zu kaufen. Neben Farben und Fäden gibt es auch hier etwas zu lernen, denn Hühnereier kann sich wohl jeder Verzierungswillige selbst besorgen. Doch wie steht es mit Eiern vom Schwan, von Ente, Strauß, Nandu oder dem Emu? Wer nicht gleich nach Afrika oder Australien zum selbst sammeln fahren will, kann hier die entsprechenden Eier kaufen und dabei lernen, dass Emu-Eier dunkelgrün sind.
Selbst der Spaßfaktor kommt im Museum nicht zu kurz: An der Kasse können sich sportlich Orientierte ein Ei kaufen und einige Meter weiter auf einer mit Kunststoff-Stroh und leichten Hindernissen verschönerten schiefen Ebene – der „Eierrugelbahn“ – ein Rennen liefern. Zum Doping steht ein Salzstreuer bereit.
Museumsleiterin Anna Barkefeld freut sich, dass sie den Besuchern in diesem Jahr viele zusätzliche Veranstaltungen mit den Kunsthandwerkern bieten kann. Der Osterhase – wo immer er auch wohnt – würde sich hier sicherlich wohlfühlen.
Reisende auf der Schwäbischen Alb können sich rund 30 Kilometer südlich von Tübingen mit dem Ostereimuseum, der in der Nachbarschaft liegenden Tropfstein-Bärenhöhle und dem abschließenden Essen im Sternerestaurant „Hirsch“ einen gelungenen Urlaubstag gestalten.
Infobox
Ostereimuseum Sonnenbühl
Steigstraße 8
72820 Sonnenbühl-Erpfingen
Tel: 07128 – 774
www.sonnenbuehl.de
Öffnungszeiten
Vier Wochen vor Ostern bis Pfingsten:
Dienstag bis Samstag 10-17 Uhr
Sonn- und Feiertag 11-17 Uhr
Montag geschlossen
Das Museum ist barrierefrei zugänglich
Copyright: Volker Kienast