Lob der Vorderachse

Winterwetter kann schön sein – wenn das Auto den richtigen Antrieb hat…

Zwei Häuser weiter in meiner Straße befindet sich ein Kiosk mit Migrationshintergrund. Der Besitzer ist prima integriert, er fährt schließlich ein deutsches Auto. Zur Zeit erscheint er allerdings wenig integrationswillig, denn er flucht seit einigen Tagen wild auf das schöne Stück. Dabei fährt er einen ansehnlichen Wagen mit kompletter Lederausstattung, in Graumetallic und Wurzelholz, Automatik, gaaanz toller Stereoanlage und richtig vielen PS.
Allerdings auch mit Heckantrieb.

In Deutschland liegt Schnee, jede Menge. Doch das scheinen erstens Menschen mit Integrationswillen und zweitens Autos mit Heckantrieb nicht sonderlich zu mögen. Der ansonsten wirklich nette Kioskbesitzer wird mittlerweile richtig ungemütlich, wenn er in seinen Wagen nach einem langen Kiosktag einsteigt, um mal wieder nicht vom Fleck zu kommen. Ich habe dem Mann zusammen mit einigen anderen Fußgängern, die gerade auf der Straße waren, schon ein paar Mal aus dem Schnee geholfen. So gesehen ist das auch ein soziales Ereignis, denn man lernt dabei eine Menge hilfsbereite Menschen hier im Städtchen kennen.
Vorgestern Abend geschah dann aber ungewöhnliches: Rauch lag in der Luft. Es war gegen Neun Uhr im Dunkeln, ungewöhnlicher Nebel zog durch die Straße, also öffnete ich das Fenster und roch verbrannten Gummi: Da keine helfende kleinstädtische Hand mehr in der Nähe war, musste sich der Mann notgedrungen selbst befreien. Das tat er, indem er so lange Vollgas gab, bis der Antrieb und die Reifen rauchten. Irgendwann hatte er den Schnee bis zum geteerten Untergrund durchschmolzen und kam tatsächlich mit einem kleinen Hüpfer frei. Ob er danach noch Profil auf den Reifen hatte, weiß ich nicht. Ich bin mir aber sicher, dass sein Gemüt genauso rauchte wie die Reifen.

Mein eigentlich netter Kioskbesitzer hat seinen Kleinbetrieb erst vor wenigen Monaten übernommen, im Sommer. Davor gehörte der Laden auch einem netten Menschen mit Migrationshintergrund, der ein Auto aus Bayern fuhr, auch mit Heckantrieb. Und ich ahne jetzt, warum der den Kiosk abgegeben hat. Schlicht deshalb, weil er seinen Wagen aus Bayern nicht abgeben wollte. Denn der kam im vergangenen – auch schneereichen – Winter die kleine Steigung bis zum eigenen Schaufenster nicht mehr hoch. Diesen Vorbesitzer hatte ich inklusive Fahrzeug auch schon ein paar Mal aus dem Schnee geschoben.
Heute Morgen war ich im Kiosk, um mir eine Zeitschrift zu kaufen. Natürlich sprachen wir über den Schnee, über Autos sowie darüber, dass sich im nunmehr beginnenden Tauwetter die Probleme, die ein Luxuswagen mit Heckantrieb so mit sich bringt, mit dem Schnee hinfort schmelzen.
Mit Beruhigung konnte ich bei diesem Gespräch feststellen, dass sein Integrationswillen nicht gelitten hatte. Er will sich auf jeden Fall ein neues Auto kaufen, wieder ein deutsches, doch diesmal Vierrad getrieben.

Veröffentlicht im Buch: Volker Kienast Popstar einer Nacht.

Copyright: Volker Kienast