Zeit ist Scheck

In Zeiten des Internetbanking und des bargeldlosen Zahlen kann es ganz schön abenteuerlich sein, einen Scheck einzutauschen…
…und vor allem: Langwierig.

Ich bin im China des Jahres 2007 in der Geburtsstadt von Konfuzius. Es ist Mitte Juli und freundlich begrüßt mich ein aufgeklebter Papierweihnachtsmann an der Raumschiff-Enterprise-Glastür der Bank in Qufu. Drinnen befinden sich Barhocker vor den Schaltern, doch warum sollte man sich für einen Vorgang hinsetzen, der nur wenige Minuten dauern sollte? Das verheißt nichts Gutes.

Als ich der Schalterbeamtin hinter der dicken Panzerglaswand auf Chinesisch erkläre, dass ich gerne drei Schecks zu je einhundert Euro tauschen möchte, schaut sie mich ängstlich-erschrocken an. Dann dreht sie sich zu ihrem Kollegen um, der am Quertisch dahinter irgendwelche Formulare stempelt und sich durch seine Sitzposition als hierarchisch höhergestellt ausweist. Dieses Geräusch des Stempelns soll in der kommenden Stunde der Hintergrundrhythmus werden, denn hier wird alles gestempelt. Wiederholt. Mehrfach. Und dann noch einmal.

Sie sagt zu ihm, dieser ehrwürdige Ausländer [das ist die hier übliche freundliche Anrede] möchte Schecks tauschen, von Euro in Yuan, ob das denn ginge? Auch der Kollege wirft mir einen ängstlichen Blick zu und sagt ihr, sie solle sich die Schecks zeigen lassen. Sie dreht sich zu mir zurück und gibt die Aufforderung an mich weiter. Ich schiebe ihr die Schecks unter dem schmalen Schlitz der Glasscheibe durch, dazu auch meinen Reisepass. Daraufhin beginnt ein langes Blättern, gegen-das-Licht-halten, umdrehen, zwischen-den-Fingern-reiben und wieder Blättern sowohl der Schecks als auch des Passes. Dann gibt sie alles an den Kollegen weiter, der hält sogar den kartonartigen Einband meines Passes gegen das Licht.

Mittlerweile sind drei weitere Kollegen gekommen, die nun alle blättern, fingern und gegen-das-Licht-halten. Allerdings weiß niemand hinter der Scheibe, wie es nun weitergehen soll. Doch nach einer kurzen Besprechung holt der erste Kollege langsam eine Mappe aus einem Schrank an der Seite des Raumes, geht langsam zu seinem Schreibtisch zurück, legt die Mappe langsam darauf und klappt sie langsam auf. Falls die Hörenden dieser Beschreibung nun glauben, ich übertreibe, kann ich nur sagen, sie waren nicht dabei!
Neben und hinter mir wird die Schlange der Wartenden länger und damit das Publikum größer. Doch alles geht: Langsam. Der Beamte sucht in der Mappe nun nach dem Schecktyp, den ich ihm übergeben habe, findet ihn nach einiger Zeit und beginnt dann, Scheck und Abdruck in der Mappe miteinander zu vergleichen. Langsam. Lesenfingerngegendaslichthalten. Ich frage von außen, ob ich die Schecks denn nun tauschen könne. Das tue ich sehr freundlich, schließlich haben die hinter der Scheibe meine Schecks und meinen Pass. Alles, was ich habe, ist Langmut. Allmählich ahne ich, warum Mobiltelefone Spiele gespeichert haben.

Der Beamte sagt, ich könne tauschen, und mit dieser Erkenntnis sind wir bei etwa zwanzig Minuten Bearbeitungszeit. Seine Kollegin hat in dieser Zeit etwas anderes getan. Auf ihrem Schreibtisch liegen diverse Formulare, die sie alle mit verschiedenen Stempeln stempelt und stempelt und stempelt. Neben mir steht noch derselbe Mann in brauner Jacke wie zu Beginn und stöhnt dieses typische chinesische Stöhnen, was man wohl am besten mit dem verzweifelten, schicksalsergebenen „Oh, Mann!“ gleichsetzen könnte.

Einer der Beamten ist mit den Schecks verschwunden. Minuten vor ihm bereits ein anderer mit meinem Pass. Dann geschieht minutenlang nichts, begleitet von dem Geräusch, das entsteht, wenn ein Stempel aufs Papier kracht. Dies allerdings jetzt doppelt, denn auch ihr Kollege hat nun mit dem Stempeln von irgendwas begonnen. Ich beobachte, dass sich auch vor den anderen Schaltern nichts tut, niemand, der bei meinem Eintritt in die Bank dort gewesen ist, hat diese bislang verlassen.
Dann erscheint der Pass-Kollege und reicht seiner Schalterkollegin den Pass und eine DIN-A5 Kopie. Sie legt den Stempel beiseite und vergleicht nun den Pass mit der Kopie, hält sogar die Kopie gegen das Licht und befühlt das Papier. Dann ruft sie ihren Kollegen, der den Stempel aus der Hand legt, langsam aufsteht, langsam die knapp zwei Meter zu ihr geht und nun seinerseits Pass und Kopie miteinander vergleicht, inklusive Papier- und Lichttest. Dreißig Minuten.

Braunjacke kommt mir näher, ich vermute, er will nur unter der Glasscheibe hindurch fragen, wo er seine Bombe hinwerfen soll.
Dann sind die Schecks wieder da und liegen neben meinem Pass auf dem Schalterschreibtisch. Irgendwas wird abgestempelt. Ich habe aber das Gefühl, dass es nun voran geht, da sie zwischendurch eine große Schublade öffnet, in der unsortiert und teilweise zerknüllt viel Geld liegt. Ich rufe durch die Scheibe, dass ich die Schecks zunächst einmal unterschreiben sollte, sonst sei der Tauschvorgang nicht gültig und sie bekämen Schwierigkeiten. Und merke sofort, dass das ein Fehler war, denn nun wird wieder die Mappe konsultiert, um zu kontrollieren, ob das stimmt. Hätte mir ja auch egal sein können, aber ich bin nun mal freundlich. Die Mappe war bereits wieder im Schrank auf der Seite des Raumes verschwunden, entsprechend dauert auch dieser Vorgang. Als klar ist, dass ich Recht hatte, werden die Schecks wieder unter der Scheibe hindurch geschoben. Ich unterschreibe sie nach vierzig Minuten, beobachtet von vielen Menschen, deren Bankvorgang bislang nicht weiter bearbeitet worden ist.

Nun werden die Unterschriften miteinander verglichen, gegen das Licht gehalten und die Mappe konsultiert. Dann kommt der höhere Beamte mit sorgenvoller Miene zu mir an die Scheibe und sagt, so ginge das nicht. Ich hätte auf der falschen Linie unterschrieben. Ich antworte, das sei nicht wichtig. Wichtig sei nur, dass es zwei Unterschriften sind: eine beim Kaufen der Schecks, und eine beim Tauschen. Er schaut mich an und geht zu seinem Schreibtisch. Nun wird telefoniert, was einige Minuten dauert. Dann kommt er zur Scheibe und sagt, ich müsse noch einmal auf der richtigen Zeile unterschreiben, dann sei es gut.

Nachdem ich das getan habe, geht es vergleichsweise zügig. Die Schalterbeamtin zählt 30 Einhundert-Yuan Scheine ab, steckt sie in die Zählmaschine, nimmt deren Anzeige von 30 zur Kenntnis und zählt die Scheine noch einmal ab. Dann sucht sie weitere 40 Yuan aus der großen Schublade heraus und öffnet zum Schluss eine alte Tablettendose aus Plastik, um sich einige Münzen auf die Hand zu schütteln. All dies zählt sie weitere zwei Mal ab und reicht mir dann alles zusammen mit meinem Pass und der Quittung durch den Schlitz. Ich blicke auf den Weihnachtsmann an der Enterprise-Tür, überlege, dass ich bis zu seinem Termin noch andere Dinge vorhabe und verzichte darauf, nun meinerseits sämtliche 30 Yuan Scheine auf ihre Echtheit zu befingern und gegen das Licht zu halten.
Nach ziemlich genau einer Stunde verlasse ich die Bank in der Gewissheit, dass niemand vor der dynamischen Wirtschaftsmacht China Angst haben sollte…

Eine kleine Anmerkung: Diese Geschichte ist im Rahmen der Sendung „WDR 5 Spielart“ am 25.12.2012 gesendet worden. Von einem professionellen Sprecher gelesen.

Veröffentlicht im Buch: Volker Kienast Popstar einer Nacht.

Copyright: Volker Kienast

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