Verzaubert in Nikis Garten

Ein Urlaub in der Toskana ist für die meisten Menschen durch die erdigen Farbtöne ein die Augen beruhigender Aufenthalt. Aber vielleicht darf es auch einmal eine Abwechslung dazu geben! Im „Il Giardino dei Tarocchi“ der im vergangenen Jahr verstorbenen Künstlerin Niki de Saint Phalle erleben die Besucher eine bunte Überraschung.

Hast Du den Busen auch fotografiert?“ fragt eine Neunjährige ihren Vater. Der nickt, zieht an seiner Pfeife und schaut still um sich. Einige Erwachsene sitzen auf der blauen Kachelschlange, die den Teich vor dem Magier umfasst. Spielen mit der Hand im Wasser, schauen und staunen. Ein Siebenjähriger fasst seine Stimmung zusammen: „Für zwölf Euro ganz schön cool, was hier abgeht.“
Etwas versteckt liegt der Giardino dei Tarocchi von Niki de Saint Phalle am Südzipfel der Toskana. Ein schlichter, eleganter Gebäuderiegel des Tessiner Architekten Mario Botta bildet den Eingang. Dahinter windet sich ein Weg zweihundert Meter weit durch Büsche und Bäume. Und plötzlich steht man vor der riesigen Figur des Magiers, der in den Teich mit der blauen Kachelummauerung hineinreicht. Aus jeder Richtung glitzert und blinkt es, und die Besucher stolpern ab diesem Zeitpunkt mit großen Augen durch diesen Kindergarten für Erwachsene, sehen völlig Neues in einer vertraut scheinenden Welt.

Wie eine Sphinx liegt die riesige Hauptfigur des Gartens, die Herrscherin, auf einem kleinen Hügel über der Landschaft. Inmitten der sanften Umgebung mit den harmonischen, warmen Farbtönen wirkt die grellbunte und skurrile Figur völlig deplaziert. Niki de Saint Phalle sah den Garten als einen Dialog zwischen Skulptur und Natur. 1979 hat sie den Skulpturengarten begonnen und zog 1983 in die fertige Herrscherin ein. Sie schrieb: „Endlich würde meine lebenslange Sehnsucht, in einer Skulptur zu leben, Wirklichkeit werden. Ich schlief in einer Brust und meine Küche war in der anderen Brust.“ Das Grundstück für den Garten in der Maremma bekam die Französin von Freunden geschenkt. Das Material für die Figuren verdiente sie sich mit dem Verkauf von Skulpturen. Hauptsächlich aber dadurch, dass sie den Flakon für ein Parfum entwarf.

Wohin der Besucher auch blickt, er sieht sich tausendfach und zerbrochen in den Spiegelscherben der Figuren und Gebäudewände. Diese Zerbrochenheit ist bunt und verwirrend schön, allerdings liegt dahinter eine symbolische Bedeutung. Die zerbrochenen Spiegel versinnbildlichen die gebrochene Seele der Künstlerin. Niki de Saint Phalle – der Name ist kein Pseudonym – wurde jahrelang von ihrem Vater missbraucht. 1961 begann sie im Alter von 31 Jahren auf Gipsbilder mit eingelegten Farbbeuteln zu schießen; sie schoss sich ihre Wut auf die Männer heraus. Einige Jahre später erschuf sie sich eine Art Urmutter, um Frieden zu finden: Die rundlichen, matronenhaften Nanas, die sie weithin berühmt machten. Wer ihre persönliche Geschichte kennt, sieht auch das Bedrohliche in den Skulpturen. Bei einem Spaziergang durch den Park trifft der Besucher beispielsweise auf zwei bunte Figuren, die Liebenden, die unter einigen Bäumen fröhlich picknicken, so scheint es zumindest. Doch wer um die Skulpturen herumgeht, sieht die Schlange im Rücken der beiden drohen.

Den esoterischen Hintergrund der Figuren bilden die 22 Tarotkarten. Sie gaben den Figuren ihre Bezeichnung, zum Beispiel die Gerechtigkeit, die Herrscherin oder der Magier. Niki de Saint Phalle war überzeugt, dass die Karten eine mystische Bedeutung haben. Wer sie versteht, kann die verschiedenen Hürden des Lebens meistern und inneren Frieden finden. Diesem Ziel hat sie den Garten gewidmet, doch das wissen nur wenige der ohnehin wenigen Besucher. Sie sind Touristen, die an der nahen toskanischen Küste ihren Badeurlaub verbringen und heute einen Kulturtag eingelegt haben. Trotzdem sind sie begeistert, erfreuen sich an der künstlerischen Verspieltheit. Eine weitere Tarotkarte, die Niki de Saint Phalle umgesetzt hat, ist der Tod. Ein Sensenmann auf einem typisch bunten Pferd, zu dessen Hufen abgehackte Beine, Arme und Köpfe. Eine Frau sagt: „ Soviel Farbe, Fröhlichkeit und Schrecken zugleich.“

Die Fröhlichkeit überwiegt, und die Besucher spazieren mit gutgelaunter Neugier durch die Anlage.
Das Innere der Herrscherin ist etwa sechzig Quadratmeter groß, aber das ist schwer zu schätzen, denn vor lauter Blitzen und Blinken muss der Besucher erst einmal erkennen, wo überhaupt die Wände sind. Und es braucht einige Zeit, bevor sich aus dieser Flut von Eindrücken eine Treppe, der Herd und die Möbel herausgefiltert haben. Das macht Spaß, als gewohnter Seher etwas so Ungewohntes zu sehen. Die Dusche im Bad ist eine züngelnde Schlange, die Fensterläden kommen als runde Spiegel von der Decke und die Stühle und der Tisch sehen aus wie aus einem Zeichentrickfilm. Hier saß Niki de Saint Phalle jahrelang und besprach mit ihren vierzig Helfern, wie die vielen Details im Garten ausgeführt werden sollen. Das rußschwarze Feuerloch des Kamins ist das einzige, was in dieser Halle des Glitzerns klare Konturen hat. Mitten im Raum steht eine Besucherin mit einer Patchwork-Hose. Nirgendwo sonst könnte dieses Kleidungsstück passender und schöner sein. „Dieses Licht…“, sagt sie versonnen.

Der Garten ist beinahe vollständig, lediglich in der begehbaren Skulptur des Schlosses sind einige wenige Säulen und Flächen noch unvollendet. Dadurch erkennen die Besucher ein wenig die Arbeitsweise der Künstlerin: Auf einer Betonschlange stehen die Anweisungen für die verschiedenen Kachelformen und Farben, die hier anzubringen sind. Die römische Keramiklehrerin Verena Finocchiaro hat sämtliche Fliesen für die Figuren und Gebäude hergestellt: Kleinskulpturen in Form von Chilischoten, Lebkuchenhäuschen, Kegeln und natürlich kleinen Nanas, dem Markenzeichen Niki de Saint Phalles.
Bei der Ausführung all der Figuren war außerdem der Schweizer Künstler und Lebensgefährte Niki de Saint Phalles, Jean Tinguely, besonders wichtig. Er wurde bekannt durch mechanische Skulpturen, die als sinnlose Maschinen endlose, komplizierte Bewegungen vollführen, ohne je etwas zu produzieren. Tinguely führte sämtliche Schweißarbeiten an den Figuren aus. Eine Heldenarbeit, schließlich haben alle Figuren unter der bunten Oberfläche und dem Beton ein Eisendrahtskelett. Einige seiner „Sinnlosmaschinen“, wie sie in Kunstbüchern genannt werden, stehen im Garten oder ergänzen die Figuren von Niki de Saint Phalle. In die schmalen Betonwege des Gartens haben die beiden Künstler Figuren und Texte in vielen Sprachen eingraviert. Auch hier eine unzählbare Vielfalt der Schriften, Symbole und kleinen Zeichnungen. Zum nicht Sattsehen.

Mittlerweile ist es 19.30 Uhr, es dämmert und der Tarotgarten schließt bald. Auch die Neunjährige mit ihrem pfeiferauchenden Vater ist noch da. Sie drehen sich auf dem Weg zum Ausgang immer wieder um, können sich nicht lösen von dieser Phantasie aus Licht, Farben und Formen. Und dann fragt sie: „Papa, warum sieht eigentlich meine Schule nicht so aus?“

Veröffentlicht bei: Neurotransmitter Magazin Reiseteil 06/2003

Copyright: Volker Kienast